Empathisch statt toxisch

Warum Unternehmen bei ihren Agenturen auf eine nachhaltige Kultur achten sollten

Vor einiger Zeit habe ich einen Pakt mit mir selbst geschlossen: Ich möchte nicht mehr ausbeuten und nicht mehr ausgebeutet werden. Wie mir das geholfen hat, eine bessere Agentur zu bauen.

Mal eine persönliche Frage: Sind Sie zufällig in der komfortablen Situation, bei einem Unternehmen (mit-)entscheiden zu können, welche Agenturen Sie beauftragen? Dann haben Sie sicher ein Team bei Ihrer Agentur, das Ihnen jeden Wunsch von den Augen abliest und gerne die Extrameile für Sie geht, Tag und Nacht erreichbar ist und ohne (Ihnen gegenüber) zu klagen auch mal am Wochenende eine Extraschicht einlegt.

Aber haben Sie sich schon einmal darüber Gedanken gemacht, ob es den Menschen, die für Sie arbeiten, auch gut dabei geht? Ob das Lächeln Ihrer Ansprechpartner*innen echt ist? Was Preis- und Leistungsdruck mit den Mitarbeiter*innen macht? Und ob eine solche Arbeitskultur wirklich zu den besten Ergebnissen führt?

Ich finde, Sie sollten, ja Sie müssen (!) sich diese Gedanken machen. Und zwar schon bevor Sie sich für eine Agentur entscheiden.

Ausbeutung gibt es nicht nur in der Dritten Welt

Vielleicht haben Sie die Diskussion um das Lieferkettengesetz verfolgt. Kern ist eine „unternehmerische Sorgfaltspflicht“, die sicherstellen soll, dass alle an der Lieferkette eines Produkts Beteiligten unter menschenwürdigen Bedingungen arbeiten. Natürlich blickt man da zuerst in Drittwelt- und Schwellenländer.

Doch ich finde: Wenn Sie heute eine Agentur beauftragen, sollte es Ihre unternehmerische Sorgfaltspflicht sein, darauf zu achten, dass die Menschen, die das Bild Ihres Unternehmens nach innen und nach außen prägen, unter menschenwürdigen Bedingungen, angstlos und motiviert arbeiten.

Der immerwährende Preis- und Leistungsdruck ist nicht normal

Viel zu oft habe ich in den vergangenen Jahren erlebt, wie Preis- und Erfolgsdruck verbunden mit einem sehr traditionellen Verständnis von Führung Menschen ausbrennen lässt. Ich wurde von Kunden, Kollegen und Chefs angeschrien, runtergemacht und musste mehr als einmal versuchen, einstmals motivierte Mitarbeiter wieder aufzurichten.

Viel schlimmer noch: In meinem Berufsleben, das Anfang der 1990er Jahre begann, war ich selbst viel zu oft Teil von toxischen Systemen und teils aus falsch verstandener Loyalität und Existenzangst sogar wichtige Stütze dieser Systeme. Ich wurde nicht nur ausgebeutet, ich habe ausgebeutet. Ich gab den Druck, der von Chefs und Kunden kam und den ich mir selbst machte, weiter.

Druck. Lange Arbeitsstunden bis tief in die Nacht. Rauer Umgangston. Das gehört doch zur Medien- und Agenturwelt, dachte ich lange. Das Leben ist halt kein Ponyhof. Alles normal. Aber was soll ich sagen: Ich war halt jung und dumm und wusste es nicht besser. 

Erst spät in meinem Arbeitsleben reifte bei mir die Erkenntnis, dass der immerwährende Druck eben nicht normal ist. 

Die Entscheidung: Ich möchte nicht mehr Teil eines toxischen Systems sein

Deshalb habe ich vor einiger Zeit einen sehr wichtigen Pakt mit mir selbst geschlossen: Ich möchte nicht mehr Teil eines toxischen Systems sein. Ich möchte nicht (mehr) ein Chef sein, der seine Mitarbeiter*innen durch Druck motiviert und den Zwölfstundenarbeitstag feiert.

Ich möchte wertschätzend mit Kolleg*innen, Businesspartner*innen und Kund*innen umgehen – und ich möchte selbst ebenfalls wertschätzend behandelt werden. 

Eine Entscheidung, die Konsequenzen hatte. Ich kündigte Jobs, wo ich mich als stützenden Teil eins toxischen Systems fühlte. Ich wandte mich ab von ehemaligen Freunden, die diese Weltsicht offensichtlich nicht teilen. Aber vor allem gründete ich eine eigene Content-Marketing-Agentur mit Menschen, die diese „antitoxische“ Einstellung mit mir gemeinsam haben.

Noch bevor wir bei der sayang.gmbh den ersten zahlenden Kunden hatten, haben wir uns ein Wertegerüst gegeben, das auf Wertschätzung und wertschätzenden Umgang mit Kund*innen, Kolleg*innen und Freelancer*innen basiert. 

Sayang – das indonesische Wort für Liebling – zeigt, wofür wir stehen. Wir lieben unsere Arbeit. Wir lieben unsere Kunden. Wir lieben aber ebenso ein Arbeitsleben, bei dem Professionalität eben auch darin besteht, freundschaftlich, vertrauensvoll und ohne unnötigen Druck als Partner miteinander zu arbeiten.

Natürlich gehen wir trotzdem noch die Extrameile

Wir wissen heute genau, wie weit wir für unsere Kunden gehen – und wo unsere Grenzen sind. Keine Angst: Wir gehen noch immer die Extrameile, und das gerne. Aber wir achten darauf, dass wir sie nicht jeden Tag gehen. Und wir schreien weder uns noch andere dabei an.

Unsere Kollegin Julia haben wir dabei ganz bewusst zur Chief Happiness Officer ernannt. Sie soll auf die seelische und körperliche Gesundheit aller Mitarbeiter*innen achten, die sich in unserer von Anfang an als „Remote Company“ aufgebauten Firma in Homeoffices auf der ganzen Welt befinden. Wir erlauben und fördern eigene unternehmerisch Projekte neben der Agentur, weil wir glauben, dass dies Kreativität fördert und wichtige Impulse und Erkenntnisse liefert.

Hört sich für Sie jetzt doch wie Ponyhof und nicht wie Agentur an? Nun, unsere immer zahlreicher werdenden Kund*innen lieben diese Einstellung. Sie wissen, dass sie nicht nur dennoch, sondern deshalb Top-Qualität bekommen. Und auf dem Arbeitsmarkt gelingt es uns, hochqualifizierte Mitarbeiter*innen zu gewinnen, die normalerweise vielleicht nicht zu einer Agentur unserer Größe kommen würden, aber von unserer „Corporate Culture“ begeistert sind.

Unternehmerische Sorgfaltspflichten: Was ich von Auftraggebern erwarte

Kommen wir zum Anfang meines Beitrags zurück – und darauf, was für Unternehmen bei der Beauftragung einer Agentur zählt. Bei Verhandlungen mit der Einkaufsabteilung eines großen Konzerns komme ich mir oft so vor, als würden wir Schrauben und Muttern verkaufen.

Wertschätzender Umgang, zählt in Excellisten und SAP erstmal wenig. Beim Content wird meist um Stücke – eine der sinnlosesten Messgrößen im Content-Marketing – gefeilscht. Beim Thema Zeit um möglichst geringe Stundensätze. 

Das wohl Perverseste, was ich jemals erlebt habe, war eine sogenannte Reverse Auction, bei der man sich mit anonymen Wettbewerbern kontinuierlich unterboten hat. So lange, bis man bei Stunden- und Tagessätzen landete, die ein wirtschaftliches Handeln als Agentur kaum mehr möglich machen. 

All das führt zu Druck. Ungesundem Druck, der sich auf die Qualität der Arbeitsergebnisse auswirkt. Als vorausschauende*r Auftraggeber*in sollten Sie das wissen. In meinen Augen gehört es zu den unternehmerischen Sorgfaltspflichten, dass jedes Unternehmen vor der Beauftragung seiner Dienstleister genau hinsieht, ob es auf eine gesunde und nachhaltige Unternehmenskultur trifft – und dabei eine weitere, wichtige Messgröße und KPI einführt.

Ich nenne sie Menschlichkeit.