Wenn Content King ist, dann behandelt ihn bitte auch so
Es ist eine Kunst, gute Texte zu verfassen. Doch was im heutigen Content-Marketing entsteht, ist meist aufwändig, teuer, sinnlos und schlecht. Warum eigentlich?
Dienswagenversteuerung. Wer erkennt den Tippfehler auf den ersten Blick? Ich zum Beispiel. Leider. Er springt mich an aus der LinkedIn-Anzeige eines großen japanischen Autoherstellers.
Eine Anzeige also, für die Toyota trotz fehlendem „t“ nicht nur viel Geld an LinkedIn abdrückt, sondern vermutlich auch an die betreuende Agentur.
Seufz …
Doppelseufz.
Schon während ich das schreibe, tut mir die Agentur leid. Sie wird jetzt vielleicht ein unangenehmes Feedbackgespräch über sich ergehen lassen müssen.
Sie hat mein Mitgefühl auch deshalb, weil Tipp- und Kommafehler meine ganz persönliche Superkraft sind. Ich also grundsätzlich erstmal im Glashaus sitze und schon mehr als einen Text mit peinlichen Fehlern veröffentlicht habe.
Der Status quo des Content-Marketings macht mir Sorgen
Warum ich trotzdem darauf herumreite? Dieser kleine Tippfehler hat etwas Symptomatisches für mich. Wir leben in einer (digitalen) Welt, in der plötzlich alle Content-Expert*innen sind, ohne es jemals professionell gelernt zu haben.
Jede Agentur, die etwas auf sich hält, macht heute Content-Marketing. Jedes größere und auch kleinere Unternehmen sowieso.
Doch wenn ich, was ich öfters mal tue, die Social-Media-Accounts oder Webseiten großer Unternehmen analysiere, reiht sich Unsauberkeit an Unsauberkeit.
Tippfehler sind das eine. Unverständliche Botschaften, fehlendes Sprachgefühl und an den Ziel-Personas vorbei geschriebene Inhalte sind nur wenige andere Faktoren, die mich immer wieder ärgern und verzweifeln lassen.
Die Folge: Was im heutigen Content-Marketing entsteht, ist meist aufwändig, teuer, sinnlos und schlecht – und daher oft nur mit viel Paid Media unter die Leute zu bekommen.
Seufz. Doppelseufz.
Die großen Herausforderungen des heutigen Content-Marketings
Jetzt mal zwischen uns: Fehler gehören zum digitalen Arbeiten dazu, sind für einen Lernprozess sogar wichtig. Und angesichts der Übermacht von Facebook, Google & Co. und der damit verbundenen Fokussierung auf (redaktionelle) Inhalte führt an Content-Marketing kein Weg vorbei.
Aber gerade deshalb ist es so wichtig, sich mit den zwei großen Herausforderungen zu beschäftigen, die den Erfolg jeder Content-Marketing-Strategie gefährden:
- Content-Ersteller*innen in Agenturen und Unternehmen haben in den seltensten Fällen eine fundierte schreiberische Ausbildung („Schreiben kann ja jeder.“/„Ich habe schon immer gerne geschrieben.”) oder zumindest eine Führungskraft, die ihnen dieses Wissen vermittelt.
- Auf Unternehmensseite gibt es selten die nötige Expertise, wirklich gute Inhalte zu erkennen. Stattdessen werden Texte nach Kriterien wie Preis pro Stück und „ist unsere Marke oft genug erwähnt“, bewertet. Hinzu kommt fast immer ein Abnahme-Horror, der jeden kreativen Inhalt und jedwede Struktur zerstört und an dessen Ende man einfach veröffentlicht, was übrig geblieben ist.
Solange das so bleibt, muss sich kein journalistisches Portal Sorgen machen, dass es Leser ans Content-Marketing verliert. Content ist King? Hm, leider nicht immer.
Seufz …
Auch im Content-Marketing gilt: Das Kunsthandwerk Schreiben lernt man über Jahre
Ich finde, wenn Content King ist, dann sollte man ihn auch so behandeln. Ich komme aus einer Welt, in der redaktionelle Arbeit ein Kunsthandwerk ist, das man über Jahre lernt und perfektioniert. In der Journalist*innen um jede Formulierung bis zur letzten Sekunde – und oft noch darüber hinaus – ringen.
Wo man mitten in der Nacht nochmal die Schwarzform wechselt. Wo selbst Edelfedern hart redigiert werden. Wo man an Einstiegen, Struktur und Argumentation feilt und feilt. Wo es Textchefs gibt, Schlussredaktionen – und das Vieraugenprinzip gilt.
Wo man sich nicht von Daten treiben lässt, sondern von dem Anspruch, datenBASIERT die besten Inhalte zu liefern.
Und wo man lernt, dass Nutzer*innen zwar nicht jederzeit die journalistische Qualität eines Textes bewerten können, aber ganz sicher jeden Tippfehler finden und bemängeln werden.
Zusammengefasst:
Ja, Content erstellen kann jede*r. Richtig guten Content erstellen nur wenige. In Redaktionen haben meist alle Journalist*innen eine echte Ochsentour hinter sich, die sie als Texter*innen Schritt für Schritt besser gemacht hat. Nur die wenigsten von uns werden als Edelfeder geboren.
Für guten Content braucht es Vertrauen und Wertschätzung
Wer guten Content haben möchte, der Kunden bindet und Ziele erreicht, braucht also entweder inhouse oder als Dienstleister echte Content-Expert*innen. Die Expertise und das Herzblut mitbringen, das es für gute Inhalte braucht.
Es braucht aber noch viel mehr: Vertrauen und Wertschätzung zwischen Auftraggeber und Agentur.
So wie ich meiner Autowerkstatt vertraue, dass sie weiß, was sie tut, sollten Unternehmen ihren Content-Agenturen vertrauen. Denn wenn diese bei ihren Mitarbeiter*innen auf echte Content-Expertise setzen, wissen diese, was sie tun. Weil sie ähnlich wie ein guter Automechaniker ihren Job nicht nur lieben, sondern auch bestens ausgebildet sind.
Ich kann ja auch kein Auto reparieren. Aber, so glaube ich zumindest, einen guten von einem schlechten Text unterscheiden.
Das Vertrauen sollte natürlich nicht blind sein, sondern eben wertschätzend auf beiden Seiten. Dann schafft man es vielleicht auch gemeinsam, Inhalte zu schaffen, die spannend geschrieben sind, eine echte Struktur haben, möglichst fehlerfrei und vor allem nutzerzentriert sind.
Ist das dann eine Welt ohne Tippfehler?
Vermutlich nicht. Aber eine, in der Content lange nicht mehr so belanglos und vor allem qualitativ besser ist.